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Blog   /   Über Fotografie und was sie für uns bedeutet (von Stefan Knöll)
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Über Fotografie und was sie für uns bedeutet (von Stefan Knöll)

von Jutta Herr am 28.10.2024

„Ich fotografierte aus Liebe“ (Letizia Battaglia)

Die italienische Fotografin Letizia Battaglia hat im Rückblick auf ihr bewegtes fotografisches Leben einmal gesagt: „Ich fotografierte aus Liebe.“

„Aus Liebe“, „Leidenschaft“, „Passion“ ist die Antwort, die viele Menschen auf die Frage geben, warum sie fotografieren, schreiben, malen, ein Musikinstrument spielen oder einen Naturgarten regelrecht komponieren, wie ein Künstler sein Werk.

Es sind Menschen, die sich berühren und ansprechen lassen. Menschen, für die die Welt, die Dinge, die Natur nicht stumm bleiben. Die, mit Hartmut Rosa gesprochen, in einer Resonanzbeziehung zur Welt leben.

Eine Haltung, die für den Soziologen Rosa ganz und gar nicht selbstverständlich ist. Im Gegenteil: Er sieht unsere moderne Gesellschaft in der Gefahr, dass für sie die Welt immer mehr verstummt. Dass wir immer seltener in einen Dialog mit ihr treten. Wir hören die Dinge nicht mehr „singen“, wie es der Dichter Rainer Maria Rilke einmal ausgedrückt hat.

Starr und stumm wird die Welt, wenn die Beziehung zu ihr immer stärker durch reinen Nutzen und Verfügbarkeit bestimmt wird. Wenn alles nur noch wirtschaftlich kalkulierbar, technisch machbar und politisch steuerbar sein soll. Auf diese Weise wird uns die Welt immer fremder. Besondere Momente, die uns anrühren, ansprechen könnten, nehmen wir kaum noch wahr.

Rosa nennt diese gesellschaftliche Entwicklung Beschleunigung. Und er stellt die These auf: „Wenn Beschleunigung das Problem ist, dann ist Resonanz vielleicht die Lösung.“ Ein spannender Gedanke, weil die erwartete Lösung nicht „Entschleunigung“ heißt. Sondern eben „Resonanz“: das Mitschwingen oder Mittönen eines Körpers mit einem anderen, wie es im Wörterbuch heißt.

„Mitschwingen“, empfänglich bleiben für das, was ist. Wahrnehmen, sehen lernen. Sich begegnen. Auch: sich verändern lassen. Sich entwickeln. Niemals fertig werden. So ließe sich die Grundhaltung beschreiben, aus der heraus wir fotografieren. Vielleicht auch, um dem verbreiteten Prozess der Beschleunigung etwas entgegenzusetzen.

„Schwarz-Weiß ist Farbe genug“ (Barbara Klemm)

Und wir haben festgestellt: In dieser Grundhaltung gehen viele Fotografinnen und Fotografen, unter ihnen auch sehr bedeutende, beim Fotografieren bewusst Beschränkungen ein.

Die Frankfurter Fotografin Barbara Klemm zum Beispiel fotografiert aus Überzeugung wie auch Letizia Battaglia ausschließlich schwarz-weiß. Ebenso der in London lebende Fotograf Alan Schaller. Und natürlich noch unzählige mehr.

Andere beschränken sich auf Orte. Wie Norbert Rosing. Zwanzig Jahre lang fotografierte er ausschließlich die kanadische Arktis, hauptsächlich den Ort Churchill, innerhalb eines festen Radius von 30 Kilometern.

Wieder andere beschränken sich bei der Wahl ihrer Ausrüstung. Legen sich beispielsweise auf eine bestimmte Brennweite fest. Oder auf eine besondere Kamera. Wie Horst Hamann („New York Vertical“, 1996), dessen ikonische Bilder mit einer senkrecht gestellten Panoramakamera entstehen.

In diesem Zusammenhang steht der Satz von Barbara Klemm: „Schwarz-Weiß ist Farbe genug.“ Für manche, die anders fotografieren, mag er wie eine Provokation klingen. Wer sich aber einmal für Schwarz-Weiß entschieden hat, weiß, wie wichtig es gerade in diesem Segment der Fotografie ist, das richtige Licht zu finden. Und virtuos sämtliche Grauabstufungen zwischen Weiß und Schwarz zu meistern. Schwarz-Weiß ist dann Herausforderung genug.

Wenn sie gemeistert wird, entstehen wirkmächtige Bilder, die viel Raum für eigene Interpretationen lassen. Bilder, die besondere Stimmungen transportieren und regelrecht dramatisch wirken können. Letizia Battaglia drückt es so aus: „In schwarz-weiß erwirbt das Bild Unabhängigkeit, Autorität, und das bewegt mich viel mehr.“ Auch uns. Wir mögen eine gewisse Dramatik.

In der Wahrnehmung derer, die sich beim Fotografieren bewusst beschränken, handelt es sich um Grenzen, die befreien. Sie ermöglichen der Fotografin und dem Fotografen, in ihrem bzw. seinem jeweiligen Segment immer mehr in die Tiefe zu gehen und es dabei immer besser zu meistern. Anstatt sich in den unendlichen Möglichkeiten der Fotografie zu verlieren.

Doch interessanterweise ist das Fotografieren innerhalb selbst gewählter Grenzen stark mit dem Gefühl verbunden, dass ich niemals so ganz fertig werde mit dem, woran ich arbeite. Das gibt es nicht nur in der Fotografie:

So hat der Pianist Igor Levit in einem Interview mit der Wochenzeitschrift Die Zeit einmal gesagt: „Je häufiger ich eine Sonate spiele, je mehr ich damit arbeite, desto weniger verstehe ich sie, desto mehr entfernt sie sich von mir, desto glücklicher werde ich damit, und desto öfter will ich sie spielen. (…) Ich möchte nie sagen: Das habe ich verstanden, das Nächste bitte. Das Ziel ist: Ich möchte immer wieder am Anfang ankommen.“

Kein Wunder, dass Letizia Battaglia sagte: „Ich fotografierte aus Liebe.“ Wie wahr! Denn „das ist das Erregende, das Abenteuerliche, das eigentlich Spannende“ (Max Frisch), dass wir mit dem, was wir lieben, nicht fertig werden. Und so überrascht es auch nicht, wenn sie fortfährt: „Ich nehme die Welt, wie auch immer sie sein mag.“

Zeigen, was ist

Auch wir empfinden so: Die Welt ist so voller Vielfalt, Schönheit, Wunder und Überraschungen, dass es uns beiden unnötig erscheint, neue Realitäten zu erschaffen. Wir möchten uns von Augenblicken, Momenten, von Menschen berühren lassen, die uns im Alltag begegnen.

Fotografieren heißt auch für uns, rauszugehen ins Leben. Dann kommen die Bilder oft sehr schnell. Die emotionale Beziehung zur Realität, die wir betrachten, ist dabei auch für uns eines der wichtigsten Kriterien für die wirkliche Intensität eines Bildes.

Auch deshalb sind wir bei der Nachbearbeitung der Bilder zurückhaltend. Unsere Fotos sollen möglichst authentisch wirken, sollen zeigen, was ist. Ohne zusätzliche künstlich wirkende Effekte.

Wir möchten den Betrachtenden einladen, in die Szene einzutauchen. Und das Besondere im Alltag zu entdecken. Das, was berührt und eigene Gedanken auslöst. Und vielleicht im Sichtbaren dem Unsichtbaren auf die Spur zu kommen, das auch Letizia Battaglia, Barbara Klemm und noch so viele mehr beim Fotografieren immer wieder anfasst.

 

 

Quellen:
Letizia Battaglia, Quelle: Internet; Rainer Maria Rilke, vgl. sein Gedicht „Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort“ (1897), Quelle: Internet; Hartmut Rosa, Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung, Frankfurt/ Main, 5. Aufl. 2021, S. 13. Letizia Battaglia, Fotografia come scelta di vita, Venezia 2019, S. 75; 145 (Übersetzung: S. Knöll); Igor Levit, ZEIT Nr. 22 v. 19.5.2016; Max Frisch, Tagebuch 1946-1949, Frankfurt/ Main, 16. Aufl. 2020, S. 27.